Kalligraphie ist lebendig in Kyōto. In den Schildern der Geschäfte, in den Logos traditioneller Lebensmittelhersteller oder an Gedenksteinen und Statuen ist sie eine im Alltag präsente Kunst. Selbst das Label der Sake-Flaschen ist nicht selten das Werk eines großen Kalligraphen des 20. Jahrhunderts.
Kalligraphie-Klubs an Universitäten oder Schulen, die Tempel der Stadt und ihre Mönche, Kalligraphie-Vereine, zu denen jeder Zugang hat, und die Museen, Hüter der klassischen Schätze der Schreibkunst: sie sind die Säulen der kalligraphischen Szene.
Ihr Können stellen sie in Ausstellungen zur Schau, die einem ein Gefühl für das Wesen dieser Kunst vermitteln. Hier stehen verschiedene Schriftstile und Auffassungen nebeneinander, Meister der Kunst und blutige Anfänger, Chinesisches und Japanisches, Kopie und Experiment. Das lädt nicht nur zum Vergleichen und Umhergehen zwischen den Werken ein, sondern auch zum Entdecken und Nachfragen. Auch wer des Japanischen nicht mächtig ist, kann sich hier umherführen lassen. Gerade auf den studentischen Ausstellungen findet sich oft jemand, der die Details auch auf Englisch zu erklären weiß.
Die Hinweise zu kalligraphischen Ausstellungen sind hingegen meist nicht in einer westlichen Sprache zu finden. Lediglich die Museen als staatliche Institutionen informieren auch den interessierten Westler. Auch diese Website (Shonavi.jp) , die eine zeitnahe Übersicht der Kalligraphieausstellungen in Japan bietet, ist leider ausschließlich in der Landessprache verfasst. Hier sind die meisten Ausstellungen der Universitäten und Tempel erfasst.
Studentische Ausstellungen und jene kalligraphischer Vereine sind in der Regel kostenlos, man freut sich über Gäste, es werden Tee und oft eine kleine Süßigkeit serviert. Darüber hinaus werden die Kalligraphien oft in der pittoresken Umgebung buddhistischer Tempel gezeigt. Dabei werden kleinere Tempel gewählt, die für das Publikum sonst nicht geöffnet sind. Besonders im Frühling und frühen Sommer eröffnet sich so die Möglichkeit, traditionelle Architektur fern der Touristenströme zu genießen, selbst am Wochenende. Vor den geöffneten Schiebetüren liegen detailverliebt gestaltete Gärten, Landschaften en miniature, die dazu einladen, den Tee auf der Veranda zu genießen.
Kalligraphie-Vereine zeigen ihre Werke auch in Kaufhäusern oder städtischen Museen. Vor allem größere Gesellschaften, die allen ihren Mitgliedern die Möglichkeit geben wollen, ihre Werke zu zeigen, wählen diesen Weg. In Kyōto sind es die Kaufhäuser Takashimaya und Daimaru, die Räume für diese Veranstaltungen bieten. Auch im Kulturmuseum Kyōto (京都文化博物館, The Museum of Kyōto) stellen gelegentlich kalligraphische Gesellschaften aus.
Die Meister der Vergangenheit kann man in den Museen Kyōtos erleben. Inschriften aus der chinesischen Bronzezeit beherbergt das Senokuhakuko-Kan. Der Blick richtet sich weit in die Vergangenheit, Bronzeguss und Kalligraphie bilden eine faszinierende Einheit. Bedeutende japanische Kalligraphien der Heian-Zeit gibt es in der wechselnden Ausstellung zu sehen.
Eine größere Auswahl solcher Kalligraphien findet sich in der ständigen Ausstellung des Nationalmuseums Kyōto. Chinesische und japanische Lyrik, niedergeschrieben von den größten Meistern der Kunst, wird hier im Kontext einer Sammlung präsentiert, die einen Querschnitt durch die Genres ostasiatischer Kunst präsentiert. Das Internetangebot „eKokuhō“ (jp. kokuhō = Nationalschatz) ermöglich den Genuss vieler der gezeigten Werke auch ohne einen Besuch vor Ort in hochaufgelösten Aufnahmen.
Die Gegenwart in der Kalligraphie wird von den großen Ausstellungen der landesweiten Vereine und der großen Zeitung präsentiert.
Die Japanische Ausstellung für Bildende Künste (kurz: Nitten) wird zweimal pro Jahr veranstaltet und wandert von Stadt zu Stadt. Ihre Sektion für Kalligraphie ist ein wichtiges Forum der kalligraphischen Szene. Auch die Ausstellung der Mainichi-Zeitung und jene der Yomiuri-Zeitung ziehen von Großstadt zu Großstadt. In Kyōto machen alle im städtischen Museum (京都市立美術館) halt. Diese drei großen Ausstellungen kann man sich also in Kyōto ansehen.
Dagegen findet die größte Ausstellung für Kalligraphie-Clubs an High Schools, ausgerichtet von der Maninichi-Zeitung, oder die Ausstellung der Japanischen Vereinigung für Kalligraphie (日本書芸院) für High Schools und Universitäten nur in Osaka statt. Diese beiden Präsentationen der Werke des kalligraphischen Nachwuchses werden im Kunstmuseum der Stadt veranstaltet.
Ebenfalls in Osaka, im Internationalen Konferenzzentrum, findet die Ausstellung für Kalligraphie der Gegenwart der Japanischen Vereinigung für Kalligraphie statt. Hier werden die Schöpfungen des kalligraphischen Establishments des Landes versammelt.
Einige Eindrücke von Ausstellungen in Kyōto:
Ausstellung des Kalligraphie-Clubs der Ritsumeikan-Universität im Daishin-In, einem Untertempel des Myōshinji
„Kalligraphen der Gegenwart im Raum Kansai“, Ausstellung der Mainichi-Zeitung im Wolkenkratzer Abeno Harukas (大阪、あべのハルカス)
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Ausstellungen mit einem so großen Fokus wie diese überwältigen oft durch die Menge der Kalligraphien. |
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Zeichen in Holz, seltener in Stein bilden eine eigene Kategorie. Davon abgegrenzt ist die Kategorie der Siegelgravuren. |
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Eine kalligraphische Demonstration. Die Zeitungen schützen vor spritzender Tusche. (Die kalligraphische Demonstration ist zu unterscheiden von der Performance, die sich durch Choreographie und musikalische Begleitung auszeichnet) |
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Auch hier wurde das Graphem für "Schaf" in die Kalligraphie einbezogen. |
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